Das Orchester (September 2008)


Maurice Ravel 

– La Valse
Poème choréographique pour orchestre, Partitur

– Bolero
für Orchester, Partitur,
hg. von Jean-François Monnard

Breitkopf & Hartel. Wiesbaden 2008 . 52,- bzw. 48,- Euro

La Valse und Bolero : zweimal gesittete Tanzformen mit ekstatischer Überhitzung, in der etwas vom Zeitgeist des frühen 20. Jahrhunderts musikalisch sinnfallig wird. Die beiden Ballettmusiken von Maurice Ravel sind Dauerbrenner und Preziosen im Orchesterrepertoire, ein nochmaliger prüfender Blick auf ihr Aufführungsmaterial ist darum fraglos sinnvoll. Der Dirigent Jean-François Monnard hat ihn getan und nun in der Partitur-Bibliothek bei Breitkopf kritische Neuausgaben ( samt Orchesterstimmen zum Kauf) vorgelegt.
Die Quellenlage und die aus ihr folgenden editorischen Grundsatzent­scheidungen sind in den beiden Fällen sehr ähnlich. Als Hauptquelle wählt Monnard jeweils den Partitur-Erstdruck von Durand, auf dem auch bisher bereits alle Aufführungen basierten; einen sensationell veränderten Bolero sollte daher niemand erwarten. Gleichwohl sind die Ausgaben alles andere als überflüssig, denn der Herausgeber verzeichnet zahlreiche Differenzen zu Ravels Reinschriften und Partiturentwürfen und korrigiert Details der Durand-Versionen. Meist geht es um offenkundige Irrtümer. Ob auch die­se oder jene vermeintliche « Unstimmigkeit » tatsächlich korrekturbedürftig war, könnte diskutiert werden.
Wichtiger scheint, dass Monnard solche unsicheren Stellen überhaupt freigelegt hat, zumal sich alle Korrekturen über die akribischen, doch benutzerfreundlichen Revisionsberichte leicht erschliessen und rückgangig machen lassen. Hier und in den Vorworten finden sich aufschlussreiche werkgenetische Hinweise, etwa darauf, dass von Ravel drei verschiedene Metronomisierungen des Bolero überliefert sind. Mindestens ebenso wertvoll sind die Informationen zur Aufführungs-und Tonträgergeschichte der beiden Werke, gerade aus den frühen Jahren. So wird erstmals eine Retusche des klanglich heiklen Anfangs von La Valse dokumentiert, die auf Ravels Umfeld, namlich auf den Dirigenten Manuel Rosenthal zurückgeht. Alles in allem bewahrt sich das Konzept von Breitkopf-Urtext an diesen Stücken.
Dass eines Tages weitere, wichtige Quellen publik werden, ist im Fall des Bolero nicht ausgeschlossen; bei La Valse ist es absehbar, da man (unter anderem) um das Vorhandensein von Druckfahnen weiss, die Monnard nicht zuganglich waren. Dies könnte zu veränderten Antworten auf gewis­se editorische Fragen führen. Gegenwartig aber dürften Monnards Aus­gaben unter praktisch-textkritischem Aspekt schwerlich zu überbieten sein. Ihr Druckbild ist allerdings wenig mehr als ordentlich; die Lebendig­keit und Übersichtlichkeit des alten Durand-Stichs erreichen sie nicht.

Thomas Gerlich